Hinsetzen / Aufsteh'n / Ich Liebe Dich. Ein Dialog
I. Performance Symposium, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 7. Februar 1979, 20 Uhr,
II. Third Biennale of Sydney, Art Gallery of New South Wales, Sydney, April 1979,
III. Goethe-Institut, Ankara, 25. November 1981, 20.15 Uhr,
Installation, Sound, Live-Akt, 22 Minuten, Zusammenschnitt 3:41 min

Literatur:

Rechts und links von einem einfachen Tisch stand je ein Stuhl. Auf dem rechten Stuhl stand ein Tonbandgerät. Links stand Jürgen Klauke. Über den Tisch ragte, auf Klaukes Gesicht ausgerichtet, ein Mikrophon. Aus dem Tonband erklangen, sachlich von einer männlichen Stimme vorgetragen, die Befehle: »Hinsetzen« und »Aufstehen«, denen Klauke Folge leistete. Dann war eine Frauenstimme zu hören: »Ich liebe dich«. Klauke antwortete ins Mikrophon mit dem gleichen Satz. Dieser Ablauf wiederholte sich unablässig. Die Frauenstimme blieb während der ganzen Performance gleichbleibend sanft. Die Männerstimme hingegen wurde gegen Ende der Performance allmählich barscher. Der Rhythmus der Befehle wurde zunehmend schneller, und auch Klauke sprach seine Antwort immer gereizter ins Mikrophon, zuletzt schrie er sie. Schließlich verfiel die Frauenstimme in eine Litanei, parallel ertönten die Befehle, die Klauke nach wie vor ausführte. Dies mündete schließlich in ein aggressives Stimmengewirr. Zuletzt warf Klauke das Mikrophon um, nahm den Stuhl, zerschlug ihn auf dem Tisch, verließ die Bühne, während aus dem Tonband noch zweimal die Befehle »Hinsetzen«, »Aufstehen« ertönten.
Das erste Mal führte Klauke diese Performance 1979 in München auf. Helmut Friedel hatte für das Lenbachhaus eine Performance-Reihe organisiert, um, wie er im Vorwort des Kataloges schreibt, »erstmals in München diese Form der künstlerischen Darstellung in ihrer vielfältigen Erscheinung zu zeigen«, eine Kunstform, an der er die besondere Unmittelbarkeit heraushebt, mit der sie »das Publikum am kreativen Prozeß teilhaben läßt.«(1) Zu den Veranstaltungen von Performance 1979 waren u.a. Dieter Roth und Arnulf Rainer, Jochen Gerz, Valie Export, Peter Weibel eingeladen, an einem Tag standen Münchner Performance-Künstler auf dem Programm. Der Abend, an dem Klauke seine Performance aufführte, stand unter dem Thema »Transformationen«; im Anschluß an Klauke trat Peter Weibel auf.
Das Publikum war während Klaukes Performance sehr unruhig. Nach etwa acht Minuten Aufführung begannen Zwischenrufe und Gelächter. Mit Rufen wie »Aufhören« und »Stehen bleiben« variierte das Publikum die Befehle aus dem Tonband oder sprach diese in einem eigenen Rhythmus nach, ließ sich am Schluß aber doch von der Performance einnehmen. Klauke dachte, die Besucher seien weggegangen, so still war es. Umso erstaunter war er, als er sah, daß alle noch da waren.
Aus Klaukes Niederschrift: »Hinsetzen – Aufstehn – Ich liebe Dich – Ich liebe Dich – 1 blöder Tisch – 2 blöde Stühle – 1 Mikrophon – 1 Tonband – 2 Boxen – 1 Licht (blöde Birne?!)«
»Ich stehe am Tisch – Schalte das Band auf dem Stuhl gegenüber ein – 2 Min. – de nada – Hinsetzen – Aufstehn – Ich liebe Dich – Ich liebe Dich – Hinsetzen – Aufstehn – Ich liebe Dich – Ich liebe Dich – Das Theater ist ausverkauft – Hinsetzen – Aufstehn – Ich liebe Dich – Ich liebe Dich – Die ersten werden unruhig – Hinsetzen – Aufstehn – Ich liebe Dich – Ich liebe Dich – die Reaktionen aus’m Publikum nehmen Form an – Hinsetzen – Aufstehn – Ich liebe Dich – Ich liebe Dich – nach ca. 5 Min. brüllt der Saal – für einen Moment bin ich innerlich verunsichert – die Idee, das ganze Krippchen den vorderen Reihen in die Fresse zu werfen, taucht für Sekunden auf, dann merke ich ganz schnell, daß sich ein Idealfall aufstaut – Hinsetzen – Aufstehn –.«
»Ich liebe Dich – Ich liebe Dich – Teile der Zuschauer brüllen wie im Fußballstadion – Hinsetzen – Auuufstehn – Sie setzen sich und stehen auf – Sie brüllen im Chor – Ich liebe Dich – Meine Konzentration nimmt zu – lediglich eine Mädchenstimme in meinem Rücken macht mir noch was zu schaffen – Sie ist besonders hysterisch‚ Stuhl wegziehen – Stecker raus‘ – Ich liebe Dich – die Vorstellung, daß mir der Stuhl weggezogen wird – oder jemand den Stecker rausziehen könnte – läßt einige Schwerverletzte vor meinem geistigen Auge auftauchen – Ich gebe Gas – Hinsetzen – Aufstehn – Ich liebe Dich – Ich liebe Dich – Hinsetzen – Aufstehn – die Sache wird peu à peu aggressiver – ich hab‘ sie geschafft – es wird ruhiger und ruhiger – kein Ton mehr – die Idee hat sich mit mir durchgesetzt, gegen Ende konzentriert sich meine ganze Energie auf Mikro und Stuhl – im Bruchteil einer Sekunde fliegt das Mikrophon, und der Stuhl löst sich durch einen geballten Schlag in seine Bestandteile. – Entspanne mich hinter der Bühne und lasse Slides laufen – es ist still wie in einer Kirche –.«(2)
1981 führte Klauke die Performance in Ankara im Rahmen der mehrwöchigen Veranstaltungen zur Wiedereröffnung des Goethe-Instituts in neuem Gebäude auf. Ziel der Veranstaltungen war es, ein ausgewogenes Deutschlandbild zu vermitteln. Auf dem Programm standen eine historische Dokumentation der Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei, Musik- und Theaterveranstaltungen und, als modernes Gegengewicht, Klaukes Performance. Hubert Hohl, der im September 1981 die Institutsleitung übernommen hatte und Klauke aus Belgrad kannte, hatte ihn zu einer umfassenden Präsentation eingeladen. Geplant waren eine Performance mit anschließender Diskussion, ein Lichtbildervortrag und eine kleine Fotoausstellung. Für die Ausstellung brachte Klauke Beispiele seiner Werkgruppe Formalisierung der Langeweile mit, die zur gleichen Zeit im Rheinischen Landesmuseum Bonn ausgestellt war. Für den Vortrag sah er Abbildungen seiner Farbfotosequenzen der letzten Jahre vor und eine »spez. Slide-Story (ca. 1 Std.) – (mit Musik)«(3), »Slide Show – Schön & Schmutzig« hat er sie in einer Skizze genannt. Wegen der »provozierenden« Bilder wurde der Dia-Vortrag kurzfristig abgesagt, fand dann jedoch in kleinem Kreis in privaten Räumen als konspirative Veranstaltung statt. Etliche der Zuschauer seiner Performance hatten ihn gebeten, die Dias sehen zu dürfen. Während des Vortrags, bei dem Klauke über Sexualität, Macht und Kirche erzählte, begeisterte er etwa 50 Zuhörer, während draußen Wachen standen.
Für die Wiederholung der Performance Made in Germany zwei Jahre nach ihrer Erstaufführung hatte sich Klauke entschlossen, weil sie vor dem Hintergrund der türkischen Militärdiktatur eine neue Aktualität erhielt.(4) Hubert Hohl erinnert sich an stundenlange Diskussionen. Die Performance sei »unter die Haut gegangen« und war gerade wegen der Befehle, die die Stimme auf dem Tonband erteilte, als Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit verstanden und in Analogie zur aktuellen Situation in der Türkei gesetzt worden.(5)
Über die Performance Made in Germany schrieb Klaus Honnef 1981: »Man spürt förmlich die konfliktschwangere Atmosphäre während der gesamten Performance, den Aufschwung bis zur Peripetie und das Aufatmen zum Schluß. [...] Jürgen Klauke [statuiert] ein erschreckendes Exempel, wie gesellschaftliche Gewalt entsteht. Auf Terror antwortet Gegenterror mit erhöhter Gewalttemperatur, Terror, der vor körperlicher Gewaltanwendung, vorgeführt an Klaukes und des hysterischen Mädchens unwillkürlichen Reaktionen, nicht zurückschreckt. Die leisen Töne, die zärtlichen, geraten gleichsam unter die Räder, finden kein Gehör mehr, werden vom Lärm und Tumult verschluckt, unhörbar gemacht. Die Gewalt ist das Echo auf die Lieblosigkeit.«(6)

  1. Helmut Friedel, Performance 1979, in: Performances 79. Körpersprache. Tanz-Musik. Video-Film. Theater, Ausst.-Kat., 1979, S. 3
  2. Klauke, zit. nach: Klaus Honnef, Wie einsam ist ein Mensch?, in: Jürgen Klauke. Formalisieung der Langeweile, Ausst.-Kat., 1981, S. 11
  3. Klauke, undatierter Brief an Dr. Hohl, in dem er sein Programm ankündigt, Archiv Goethe-Institut, Ankara
  4. Dem Militärputsch am 12. Sept. 1980 folgte die Aufhebung des Parlaments und die Verhängung des Kriegsrechts über das ganze Land. Unter der neuen Regierung mit Kenen Evren als Staatspräsident, die am 21. Sept. 1980 eingesetzt wurde, kam es zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen. Die im Auftrag des Militärregimes ausgearbeitete Verfassung mit einer starken Stellung des Militärs innerhalb eines parlamentarischen Regierungssystems wurde am 7. Nov. 1982 eingeführt.
  5. Gespräch im September 2000
  6. Klaus Honnef, Wie einsam ist ein Mensch?, in: Jürgen Klauke. Formalisieung der Langeweile, Ausst.-Kat., 1981, S. 11