Keine Möglichkeit – Zwei Platzwunden
Galerie Stichding De Appel,
11. und 12. September 1975, 21 Uhr, 14. September 1975, 16 Uhr
Akteure: Jürgen Klauke und Ulay. Filmcollage, ca. 20 min

Literatur:

Ein wesentliches Requisit von Jürgen Klaukes erster Performance waren Masken. Klauke trug die Maske von Ulays Gesicht, Ulay die Maske von Klaukes Gesicht. Auf die Masken wurde wiederum das eigene Gesicht projiziert. So überlagerte die Projektion von Klaukes Gesicht die Maske von Ulays Gesicht, die wiederum Klaukes Gesicht bedeckte – und umgekehrt. Ihre Identitäten waren sichtbar miteinander verknüpft. Im ersten Teil der Performance standen die Künstler schwarz gekleidet vor einem schwarzen Hintergrund, so daß nur ihre weißen Masken zu sehen waren. Im zweiten Teil der Performance trugen sie weiße Overalls und weiße Hauben und legten mehrere Masken übereinander an. Die unterste, zunächst nicht sichtbare Maske war transparent und blutverschmiert, die darüberliegenden waren weiß. So spielten sie russisches Roulette. Den Revolver mit der einen (Platz-) Patrone richteten sie abwechselnd auf den jeweils anderen und damit aber zugleich auf sich selbst, denn der andere hatte durch die Maske die Identität gewechselt. Nach jedem Schuß wurde eine Maske abgenommen. Nach dem Schuß mit der Platzpatrone nahm der Getroffene(1) die letzte weiße Maske ab. Auf seinem Gesicht kam die blutverschmierte transparente Maske zum Vorschein. Am Ende wurde ein dokumentarischer Film mit einstürzenden Fabrikschornsteinen gezeigt.
Die Galerie Stichting De Appel wurde 1975 von Vis Smals gegründet. Sie ging aus der Galerie Seriaal hervor, in der Ulay bereits in den vorangegangenen Jahren ausgestellt hatte, und war in einem alten Lagerhaus untergebracht. Erstmals entstand in Europa ein Ort für vergängliche Kunstformen wie Performances, und noch heute gilt De Appel als Zentrum und entschiedener Förderer der Performance, als ein internationaler Treffpunkt, an dem die vielfältigen Tendenzen der Performance-Kunst von Anfang an aufeinandertrafen.(2)
Die Performance Keine Möglichkeit – Zwei Platzwunden von Klauke und Ulay war eine der ersten, die hier aufgeführt wurden. In dem intimen, relativ kleinen Raum von etwa fünf mal neun Metern mit seiner etwa drei Meter tiefen Empore waren etwa 30 Personen im Publikum.(3)
Die Performance gründete in der intensiven Freundschaft, die Klauke mit Uwe Laysiepen, gen. Ulay, verband.(4) Die beiden Künstler hatten sich 1968 in Köln
kennengelernt. Erstes sichtbares Zeugnis ihrer Zusammenarbeit war das Buch Ich & Ich. Tageszeichnungen & Fotos 1970–71, das Klauke 1972 im Selbstverlag herausgegeben hatte.(5) Klauke wollte die subjektive Sicht des Tagebuchs aufbrechen und erweiterte das Buch mit Fotografien von Dingen, Situationen, Umgebungen. Das hierfür entwickelte fotografische Konzept wurde zur Initialzündung seiner folgenden Fotoarbeiten. Ziel des Fotokonzeptes war es, fotografische Annäherungen an den Stoff der Zeichnungen und Texte zu finden. Erste Selbstdarstellungen, performative Foto-Inszenierungen, Fotospuren des sozialen und ästhetischen Umfelds von Klauke sowie ›second-hand‹-Fotos aus einem kriminal-soziologischen Lexikon versuchen den ersten Teil des Buches zu objektivieren. Klauke avancierte in Köln mit seinen performativen Selbst-Inszenierungen zum Enfant terrible der Kunstszene. Ulay lebte inzwischen in Amsterdam. Es gab ein Hin und Her zwischen Amsterdam und Köln und Ulay und Klauke; verbunden mit Überlegungen näher oder intensiver zusammenzuarbeiten, nach anderen Formen zu suchen, entwickelte sich die gemeinsame Performance bei De Appel. Klauke überlegte damals ernsthaft, ganz nach Amsterdam zu gehen, verwarf diese Idee aber: »... zu viel schöne Mädchen, zu viel Haschisch und Hippies, zu viel subventionierte Künstler, zu harmoniebedürftig das Ganze, zu schön.«
Die Performance Keine Möglichkeit – Zwei Platzwunden zeugt von der Freundschaft der Künstler, die im Persönlichkeits- und Identitätswechsel bekenntnishaft zum Ausdruck kommt. Sie erprobten die Erfahrung, den anderen im eigenen Ich zu entdecken. Die Performance veranschaulicht, wie der andere zugleich
Projektionsfläche des eigenen Ich ist. Thema ist die Nähe von Identitätsfindung und Identitätsverlust.
Klauke spricht im Zusammenhang mit dieser Performance von der »Unerträglichkeit der Nähe«, Ulay von »Identitätsneutralisierung«.(6)

  1. Die Künstler können sich nicht mehr erinnern, wer von ihnen der Getroffene war.
  2. Vgl. Elisabeth Jappe, Performance. Ritual. Prozeß. Handbuch der Aktionskunst in Europa, München 1993, S. 28
  3. Zahlen gemäß den Angaben von Ulay. Für eine Beschreibung des Raumes vgl. auch Jappe 1993, S. 30, die sich auf Body art en performances in de Appel, Amsterdam 1978 (Amsterdamse Kunstraad), bezieht.
  4. Ich danke Uwe Laysiepen für das ausführliche Gespräch über diese Performance, geführt am 12. Juli 2000 in Karlsruhe.
  5. Juergen Klauke. (Ich & Ich) erotographische tagesberichte. Tageszeichnungen & Fotos (Dinge Situationen Umgebungen) Okt. 70 – Febr. 71.
    Fotos Polaroid Uwe Laysiepen, Köln 1972
  6. Klauke im Gespräch am 5. Juli 2000 in Köln, Ulay im Gespräch am 12. Juli 2000 in Karlsruhe