Aspekt - Die Wörter haben ihre Kraft verloren
Internationaler Kunstmarkt, Messehallen Köln, 28. Oktober 1977, 16 Uhr,
Toncollage, Live-Akt, ein Rottweiler, ca. 33 min, Zusammenschnitt ca.3 min

Literatur:

Zu Beginn der Performance saß Klauke in einem Rollstuhl. Mit dem Rücken zum Publikum gewandt, blickte er auf eine Wand. Auf die Wand hatte er zuvor das Wort »Aspekt« geschrieben und darunter in gleichmäßigen Abständen fünf Fleischerhaken angebracht, an denen jeweils eine durchsichtige Plastikhülle mit blutenden Rinderherzen hing. Zwei Rotlichtstrahler waren auf Klauke gerichtet. Musik setzte ein. Es war ein Tonband mit kurzen, auf die Wörter der Performance bezogenen Ausschnitten internationaler Popmusik – seichte Schlagermusik bis hin zu Hardrock –, die in rascher Folge aneinandergereiht waren. Nach etwa fünf Minuten stand Klauke auf, ergriff eine Sprühdose rechts vor der Wand und schrieb, links beginnend, die Begriffe »Hoffnung«, »Liebe«, »Tod«, »Glück« und »Sehnsucht« unter die Haken. Anschließend drehte er den Rollstuhl und setzte sich mit dem Gesicht zum Publikum. Er hob ein am Boden liegendes Heft (einen Lore-Roman) auf, blätterte darin, ließ es wieder fallen, wiederholte dies mit einem zweiten und einem dritten Heft. Bald darauf stand er auf, ging zum Begriff »Hoffnung«, das Raumlicht ging an, Klauke lehnte sich an die Wand und verharrte etwa zwei Minuten, betastete das Herz in der Hülle, zerschlug sie plötzlich. Blut und Herz fielen heraus, flossen herunter und verschmierten die Schrift. Klauke ging weiter zum Begriff »Liebe«, wo sich der Vorgang wiederholte. Vor dem Begriff »Tod« verharrte Klauke besonders lange, der Klang von Herzschlägen löste die Musik ab. Als Klauke schließlich die Tüte zerschlug, setzte die Musik wieder ein. Auch das Herz über »Glück« wurde zerschlagen, ebenso das über »Sehnsucht«, wobei hier wiederum Herzschläge die Musik ablösten. Nachdem alle Herzen zu Boden gefallen waren, verharrte Klauke noch etwa fünf Minuten an der Wand stehend. Dann hörte die Musik auf und Klauke verließ die Bühne. Auch das Licht ging aus, nur noch zwei weiße Strahler erhellten die Szene. Der Herzschlag setzte wieder ein. Ein von einem Mitakteur an der Leine geführter Rottweiler erschien und fraß nach und nach die Herzen auf. Eine erneute Musikcollage bildete den Abspann.
Die Performance war Bestandteil des Rahmenprogramms auf dem Internationalen Kunstmarkt in Köln (26.–31. Oktober 1977). Concept in Performance wurde veranstaltet, um innerhalb des Kunstmarktes eine wichtige Kunstform der Zeit, die sich als temporäre Ereignisse nur schwer in handelbare Ware umwandeln läßt, dennoch angemessen darzustellen. Neben täglichen Raum-Performances von Michael Buthe, Colette, Ernst Mitzka und Jack Smith fanden an den Nachmittagen jeweils drei bis fünf Performances statt, von Marina Abramovi´c, Ben d’Armagnac, James Barth, Valie Export, Jochen Gerz, Diego Cortez, David Gordon/
Velda Setterfield, John Gibson, Peter Gordon, Peter Grass, Jana Haimsohn, Julia Heyward, Jürgen Klauke und Peter Weibel. Ort der Aufführungen war das Foyer der Messehallen. Des weiteren wurden Filme gezeigt und zu Atelierfesten eingeladen. Vor allem durch das Rahmenprogramm blieb der Kunstmarkt 1977 in Erinnerung. Über seine Performance Aspekte hinaus, nahm Klauke auch in Colettes Performance Clearance Sale teil, indem er es sich auf Colettes Seidenlager bequem machte. Seine Teilnahme führte dazu, daß die Raum-Performance etwa in der Zeitschrift Kunst und Handwerk als gemeinsame Performance bezeichnet wurde.(1) In einem ersten Konzept bezeichnete Klauke die Performance Aspekte als einen »Versuch, auf verlorengegangene Wort-Inhalte hinzuweisen«. Dazu wählte er emotionalisierte Worte, beschmierte sie mit Bezug auf die alltägliche Abnutzung im wahrsten Sinne, ließ sie bluten. Es waren Worte, die, wie Klauke schrieb, »entweder ihre Kraft verloren haben, durch überstrapazierte Anwendung z.B. im Schlager oder aber, die wir durch diese Art Entfremdung in dieser idiotischen Gesellschaft kaum noch in der Lage sind, auszusprechen – und wenn am Schluß einer »symbolisch« übrigbleibt, will das klären, daß wir ständig, verdrängt, damit zu tun haben.«(2) Bei der Realisierung änderte Klauke das Konzept: Er zerstörte alle Tüten, so daß alle Begriffe beschmiert und in ihrer ursprünglichen Bedeutung überlagert waren. Von einem Hund gefressen, wurden die Herzen, Metaphern für den Ort der Emotionen, zu einem Ausdruck für einen existentiellen Vorgang.

  1. E. Kuhn, Köln-Concept in Performance, in: Kunst und Handwerk, 1977, S. 459, Abb. 84
  2. Klauke, Aus dem Konzept: Ein-Mann-Stück »Aspekte«, Archiv Elisabeth Jappe, Köln