Literatur:
Die Installation bestand aus einer dreiteiligen Eisenkonstruktion. Seitlich des zentralen Aufbaus aus drei unterschiedlich hohen, ineinander gestellten Tischen standen zwei Stühle. Der eine hatte eine extrem hohe, leiterartige Lehne; hierhin setzte sich Klauke. Der andere Stuhl erwuchs gleichsam hoch oben aus einer ebensolchen Leiter; unter diesen Stuhl stellte sich Arno Steffen. Die Performance begann mit den Worten »Zeitgeist«, »Zweitgeist«, die aus dem Lautsprecher ertönten. Anschließend begann der Dialog zwischen der Stimme aus dem Lautsprecher und den beiden Akteuren. Den Wörtern »aufspringen« und »anpassen« aus dem Lautsprecher antwortete Klauke mit »abspringen« und Steffen mit »aufpassen«. Allmählich steigerte sich das Tempo und die beiden Akteure sprachen immer hastiger und aggressiver, um mit dem Tonband im Rhythmus zu bleiben. In der zehnten Minute kam dieser Teil der Performance mit einem lauten Durcheinanderschreien von Klauke (»abspringen«), Steffen (»aufpassen«) und der Stimme aus dem Tonband zum Höhepunkt und Ende. Klauke und Steffen stiegen von der Bühne und ergriffen jeweils einen Besen, liefen fegend jeder auf seiner Seite um die Bühne, und wenn sie sich trafen, machten sie kehrt (Aufführung in Köln). Während dieses zweiten Teils der Performance ertönte vom Tonband ein Wortsalat zu Zeit, Zeitgeist, Postmoderne. Beim Stichwort »Ende« ließen die Akteure ihre Besen fallen. Das Tonband lief noch etwa eine Minute weiter und endete mit der mehrfachen Wiederholung des Wortes »aufhören«.
Für die Aufführungen in Hamburg und Kassel wählte Klauke jeweils eigene Formen für den zweiten Teil der Performance. In Hamburg inszenierte er eine Prozession, bei der er einen alten Graphikwagen um die Installation schob. Auf dem Graphikwagen lag ein Hut, der von einer Taschenlampe angestrahlt wurde. An dem Besen, mit dem Steffen fegte, war ebenfalls eine Taschenlampe befestigt.
In Kassel ergriffen die beiden Akteure statt zu fegen Lappen und polierten beim Schein von Taschenlampen die Installation. Während sie unbeirrt bis zum Schluß weiterpolierten, begann ein Mitakteur, die Installation mit einer elektrischen Flex-Säge zu zerlegen. Die Funken sprühten wie große Wunderkerzen. Erst der höchste, dann der mittlere Tisch wurden an den Beinen abgesägt, so daß sie in sich zusammenbrachen, zuletzt wurde auch der untere Tisch mit lautem Krach zum Publikum hin umgeworfen. Als das Licht anging, wurde das Ausmaß der Zerstörung sichtbar.
Klauke: »Für die Collage wurden in einem Tonstudio bis zu zehn Tonspuren übereinandergeschnitten, zerhackt, wieder zusammengefügt und dann in Emulgatoren gespeist, mit denen sonst Discomusik und Postpunk gebastelt werden. So entsteht wellenähnlich, karg bis voluminös, ein Wortsalat, der ständig um neue Begriffe erweitert wird, ohne daß diese zur Klärung des Sachverhaltes beitragen.«(1)
»ZWEITGEIST. ZEITgeist, scheissZEIT, ZEITscheiss, eisZEIT, ZEITeis, geistZEIT, ZWEITGEIST Postmoderne hab’ mich gerne – Wenn’de Ende. POSTMODERNE, POSTIndustriell, POSTMateriell, POSTHistorismus, POSTAlkoholismus, POSTFaschismus, POST-Terrorismus, POSTBEAT, POSTPunk, POSTPotent, POSTPershing, POSTGau, POSTLeben, POSTDaneben, postscriptum: POSTISMUS, ismus, ismus, ismus, ICHmuss, DUmusst, ERSIEESmuss, WIRmüssen, IHRmüsst, SIEmüssen, ABspringen AUFspringen ANpassen AUFpassen ABhängen AUFhängen ANfangen AUFhören. ZEITGEIST.«(2)
Mit der Textcollage, die in einen Wortsalat mündete, schien die Performance auf das Konzept der Veranstaltungsreihe zugeschnitten zu sein, für die Klauke die Performance entwickelt hatte. Lyrics, das deutsche Lyrikprogramm im Fernsehen, 1984 vom WDR-Redakteur Joachim Dennhardt initiiert(3) und 1986 gemeinschaftlich vom WDR, der Gerhard Schmidt Filmproduktion und dem Kulturamt der Stadt Köln veranstaltet, war als Experiment angekündigt. Es basierte auf einem gattungsübergreifenden Konzept: Lyrik, verbunden mit Musik, Tanz, Performance, bildender Kunst, Videokunst sollte »Kultur und Unterhaltung, Lesung und Aktion vermischen« und so »neue Kunstformen entstehen lassen«, wie es in der Pressemitteilung hieß.(4) 1986 wurde Lyrics an vier Abenden in einem alten Amsterdamer Spiegelzelt »Het Danspaleis« auf dem Kölner Domplatz aufgezeichnet – Klaukes Performance fand vor dem Zelt statt. Das Thema der ersten beiden Abende war Melancholie (17. und 18. Mai), das Thema der folgenden beiden Abende Politische Lyrik (20. und 21. Mai). Der Mitschnitt von Lyrics. Melancholie, darunter Klaukes Performance, wurde am 10. Juli 1986 ausgestrahlt.
Das Publikum war bei der Aufführung extrem unruhig. Schon als die ersten Worte aus dem Lautsprecher erklangen – »Zeitgeist«, »Zweitgeist« – antwortete ein Zuschauer mit dem Zuruf »Dreigeist«. Der nun beginnende Dialog zwischen Jürgen Klauke, Arno Steffen und den Worten »Anpassen, Aufspringen« aus dem Tonband reizte das Publikum bereits in der dritten Minute zu Zurufen wie »Wiederholung«, »Zugabe«, »Ende« und zum Pfeifen, und erstmals in der sechsten Minute versuchten einige, das Ende durch Klatschen herbeizuführen.
In der Hamburger Kunsthalle führte Klauke die Performance im Begleitprogramm zu seiner retrospektiven Ausstellung Eine Ewigkeit ein Lächeln auf. Mit dem Graphikwagen griff er auf eine Requisite zurück, die er am Ort vorgefunden hatte.
Zwei weitere Male war die Performance sodann im Rahmen der documenta 8 zu sehen. Bei den Vorplanungen hatte er Manfred Schneckenburger zunächst eine neue Performance angekündigt: »Bei mir entwickelt sich eine Perf. bis zu dem Moment, wo ich sie mache. – In Kassel mache ich was Neues – vorläufiger Arbeitstitel ›Wegen des Todes von Henry Moore verschieben sich die Kunstgeschäfte auf 23.30‹. Inst. + Perf.«(5)
Schließlich wiederholte er jedoch die Performance Zweitgeist. – Ein Dialog, wandelte aber den zweiten Teil ab.
Die documenta 8 stand unter dem Leitgedanken, die soziale Dimension in der aktuellen Kunst sichtbar werden zu lassen. Das Konzept schloß die Performance als gleichberechtigte Kunstform und wichtige Entwicklung ein. In den 80er Jahren überschritt die Performance alle Grenzen. Elisabeth Jappe, die das Performance-Programm für die documenta zusammenstellte, sprach von der »Expanded Performance«, die auch in außerkünstlerische Bereiche, also ins Leben, hineinwirke und bezeichnete Joseph Beuys aufgrund seiner Aktionen der 60er Jahre als die Vaterfigur der Performance.(6) Die Performances der documenta, 175 Auftritte, fanden in sechs thematisch gegliederten Blöcken statt: Eröffnungsfestival mit Theatralischer Performance (12.–14. Juni), Expanded Performance (26.–28. Juni), Technik und Medien (10.–12. Juli), Körper – Sprache (31. Juli – 2. August), Art Performance (21.–23. August), Objekt – Klang – Instrument (11.–13. September), Schlußveranstaltungen (17.–20. September). Daneben gab es an den Wochenenden das Dauer-Performance-Festival »La Fête
Permanente«.
Im Zusammenhang mit dem Themenblock Technik und Arbeit wurde das Metall von Klaukes Installation als Rückgriff auf eine der »mystifizierten Grundsubstanzen« gewertet. Ferner hieß es in dem Artikel der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen Zeitung: »Schärfe und Härte erzeugte Jürgen Klauke mit Sprache. ›Aufspringen – Abspringen, Aufpassen – Anpassen‹, 15 Minuten lang hämmerte der Künstler aus Köln dem Publikum diese beiden eindringlichen Wortpaare ins Bewußtsein.«(7)
Mit dem Zersägen der Installation nahm Klauke Bezug auf seine Performance Melancholie der Stühle (1981, 1982), bei der er sich aus einem Stuhl heraussägte (siehe dort S. 322). Zugleich gab er der Performance damit eine neue Richtung. Sie konnte nun als »Sägen am Zeitgeist« verstanden werden und aufgrund der Wortspiele als Veralberung des Sprachgebrauchs der Kunstexperten.(8)