Peter Weiermair (HG.)

JÜRGEN KLAUKE – Desaströses Ich

Salzburger Museum für moderne und zeitgenössische Kunst Rupertinum, Wiegand verlag 2000

 

 

Peter Weiermair
Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung – zu den Arbeiten von Jürgen Klauke



Bei der hier vorliegenden Publikation von Jürgen Klauke handelt es sich nicht um ein traditionelles Katalogbuch, sondern um ein von dem Künstler selbst gestaltetes Künstlerbuch. Der Herausgeber, das Salzburger Museum für moderne und zeitgenössische Kunst, Rupertinum, hat sich vor allem im Hinblick auf eine geplante große Ausstellungstournee des Künstlers und eine anläßlich dieser erscheinenden retrospektiv angelegten Publikation entschlossen, ihn zu bitten, zur Ausstellung ein Künstlerbuch zu realisieren.
Die nun in diesem Kontext abgebildeten Aufnahmen nehmen das Material der Ausstellung selbst als ein mögliches Reservoir weiter bearbeitbarer Bilder, die der Künstler im besonderen Medium des Buches strukturiert und miteinander in Verbindung setzt. Dabei spielen Farbe, Tonstufen, die unterschiedlichen Größen, die Abfolge und damit das Prinzip der Serialität, die Gegensätze zwischen den großen Details auf Doppelseiten und den übereinander geführten Serien kleiner Bilder in ihrer grundsätzlich unterschiedenen, assoziativ divergierenden Farbigkeit eine wichtige Rolle. Das von ihm geübte Medium des Buches ist wie das der Zeichnung, der Malerei, der Fotografie, der Performance wie auch der Videodokumentation, der Live-Vorführungen, Bestandteil seines künstlerischen Konzeptes, wobei es ihm nicht um die Selbstdarstellung der Medien geht, sondern er sehr sorgfältig seine "Botschaft" durch das jeweilige Medium differenziert und bestimmt. Über die konzentrierten, inszenierten Haltungen und die raffinierten monochromen Tableaus hinaus interessiert sich Klauke auch für das Wechselspiel von Titel und Bild. Die Titel erwecken im Betrachter Vorstellungen, die das Bild einlösen muß.
Vergessen wir nicht, daß Klauke ein Kind der aufklärerischen sechziger Jahre ist, die in der Analyse der ästhetischen Kommunikationsmöglichkeiten Grundlagenforschung betrieben. Ihn interessiert seit dieser Zeit die Kunst nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel der Analyse der Kommunikationssysteme unterschiedlichster, von der Kunst genutzter Sprachen, die von der Körpersprache bis zur verbalen und literarischen Sprache reichen. Wer ihm zuhört, wird auch bei seinen Reflexionen über Leben und Kunst erfahren, wie stark dieses, sein inquisitives Vermögen und Vergnügen vorhanden ist.
Klauke hat sich schon immer für das Andere, die andere Seite der Dinge, interessiert. Vergessen wir nicht, daß er sich am Beginn seiner Karriere, am Anfang der siebziger Jahre, mit der Entgrenzung des Ich, der Transformerproblematik auseinandergesetzt hat, einem Thema, das er, lange bevor es landläufig wurde, erforschte.
Voyeurismus und Exhibitionismus sind wesentliche Kategorien der Fotografie, psychologische Voraussetzungen dieses Mediums, die sich der Künstler zu eigen gemacht hat. Früh führte er seinen sexuellen Körper sowie seine soziale und psychische Identität als Arbeitsmaterial ein. Zu Recht stellen wir ihn in die Reihe der wesentlichen Protagonisten der Körperkunst wie Vito Acconci, Bruce Nauman, Arnulf Rainer oder Urs Lüthi. Klauke hat sich jedoch mit den unterschiedlichsten Erscheinungsformen der menschlichen Existenz, nicht nur mit der Sexualität, auseinandergesetzt. Er ironisierte falsche Gläubigkeit und Ekstase, genauso wie er sich mit Themen auseinandersetzte, die sich eigentlich der Darstellung entziehen, wie es z. B. das Phänomen der Langeweile ist.
Klauke ist einer jener Künstler, die eine uralte Tradition der Rolle des Künstlers in einem zeitgenössischen, aktuellen, medialen Kleid wiederbeleben. Er ist der doppelbödige Spaßmacher, der Zauberer, der in symbolischen und wirkungsvollen Bildern von der Vergeblichkeit unserer Existenz, der barocken "Vanitas" spricht. Daß er sich dabei des Mediums Fotografie bedient, ist verständlich, spricht doch der französische Philosoph Roland Barthes von der Fotografie als einen, ja dem Medium des Todes.
Klauke, so haben seine Kritiker immer wieder festgestellt, ist ein skeptischer Optimist, der seinen Worten nach "die groteske Unzulänglichkeit des Daseins" geißelt. Es ist gerade die Mischung von Groteskem und Tragischem, welche für sein Werk von grundlegender Bedeutung ist. Die Slapsticktragödien, das absurde Theater von Klauke, ist nicht nur sein Kampf mit den Gegenständen Tisch, Stuhl, Hut und Stock, sondern auch mit den Mitspielern, die jedoch nur eine einfache materialhafte Existenz führen. Die Fotografien erweisen sich als Parabeln der menschlichen Existenz und ihrer, vom Ende her gesehen, absurden und tragikomischen Verfassung.
Klauke selbst tritt als Objekt und Subjekt seiner Bilder auf. Er ist der ideale Gegenstand dieser Bilder, denn er weiß natürlich selbst am besten, auf was es ankommt und wie es wirkt. Er ist Schausteller und Regisseur zugleich. Seine Bilder sind ebenso wenig eindeutig wie auch seine Haltung, die zwischen Extremen irrlichtert, offen bleibt.
Die in den Bildern enthaltenen, auf den schnellen Blick sofort zu erfassenden Objekte haben unterschiedliche Bedeutungen und werden auch unterschiedlich gelesen. Im Unterschied zu der kunsthistorischen Ikonographie der Vergangenheit, wie wir sie etwa bis ins 19. Jahrhundert verfolgen können, spielt Klauke mit den Bedeutungen und läßt damit einen Horizont offen, innerhalb dessen wir das Bild interpretieren. Dies betrifft so eindeutige Gegenstände wie Tisch, Stuhl oder Eimer, aber auch die mit Wasser gefüllten, an die Unterböden der Tische fixierten Ballons, die an eine Parade abgeschnittener Hoden erinnern.
Man hat im Zusammenhang seiner Werke unterschiedlichste Begriffe bemüht, von Poesie und Satire, Einfachheit, Rätselhaftigkeit, Erotik und Magie, Heiterkeit und Hysterie, Manie oder Zwang gesprochen. Klauke steigert die Theatralik der Figuren. Die Absurdität von Haltungen und die fremde Kombination von Dingen mit Körpern (nicht selten aus ungewöhnlichen Perspektiven aufgenommen) besitzen eine "feierliche Erhabenheit", die kurz vor dem Lachkrampf steht, oder sind, wie Klauke es selbst formuliert, von einer "Stille und scheinbaren Feierlichkeit kurz vor dem Auseinanderklaffen".
Der skeptische Optimist Klauke spielt mit der sich verweigernden Funktionalität der Gegenstände, jenen Objekten, die zur elementaren Grundeinrichtung eines jeden menschlichen Lebens gehören. Das Spiel mit Stuhl oder Eimer führt zu einer Aufhebung der ursprünglichen Funktionalität, zur Zweckfreiheit. In einem Freudschen Sinn betreibt der Künstler einen witzigen Mißbrauch aller Gegenstände und Körperteile. Die Welt ist im Eimer, und die Regeln und Gesetze des bürgerlichen Umgangs mit den Dingen und zwischen den Geschlechtern werden "in effegie" aufgehoben.
In diese Publikation hat Klauke die vorbereitenden Zeichnungen zu den Tableaus mit aufgenommen, und er erlaubt so, mit der Kenntnis dieser "Scribbles", die Erkenntnis, daß in seinen Arbeiten dem Zufall nicht eine dominierende Rolle überantwortet wird, auch wenn er ihn willkommen heißt, sollte er sich denn einstellen. Dies betrifft nicht nur die Form und das aussehen der Gegenstände, die er aus einer vielfältigen Welt der Erscheinungen auf wenige reduziert hat, sonder auch die künstliche, verfremdete Farbigkeit und die raffinierte Differenzierung der Töne in den großformatigen Arbeiten.
Im Zusammenhang mit der Kunst Klaukes wurden immer wieder dialektische Gegensatzpaare bemüht, Freiheit und Gebundenheit, Engagement und Skepsis, Spannung und Langeweile, Heiterkeit und Trauer, Komik und Tragik. Es ist gerade die Fähigkeit des Künstlers, auf einem dünnern Seil zwischen diesen Begriffen zu balancieren, die die Offenheit und Ambivalenz der Werke eigentlich erst garantiert.

Er selbst sieht Kunst als Ausdruck von Freiheit und äußerst sich dazu so: "Dem Leben zugewandt, versuche ich meine Erfahrungen, Erinnerungsreste, sowie Ablagerungen meines Unterbewußten im Bild mitschwingen zu lassen. Ich kann nicht übersehen, daß wir in einer Welt voller Gewalt, Zynismus und Mittelmäßigkeit leben, gleichzeitig erfahre ich auch die andere Seite. Von beiden Teilen lassen meine Arbeiten hoffentlich etwas ahnen, von der grotesken Unzulänglichkeit des Daseins."