Jede Gesellschaft hat die Kultur, die sie verdient
I. Perfo 2, Lantaren/Venster, Rotterdam, Mai 1984
II. KunstLandschaft Bundesrepublik, Schleswig-Holsteinischer Kunstverein – Kunsthalle zu Kiel,
15. Juni 1984, 15.30 Uhr, Künstlerhaus Seefischmarkt
III. KunstLandschaft Bundesrepublik, Spritzenhaus auf dem Kampnagel-Gelände, Hamburg, 17. Juni 1984, 14 Uhr
Installation: Jürgen Klauke; Musik: Arno Steffen. Installation, Sound, Slides, Zusammenschnitt 1:45 min

Literatur:

Im hinteren Bereich des abgedunkelten Raumes waren 30 Stühle aufgestellt. Jeder Stuhl wurde von einem geöffneten Herrenschirm bedeckt. Links befanden sich zwei unterschiedlich hohe Bildhauergestelle, auf denen je ein Zinkeimer stand. Über Gummischläuche, die an der Decke aufgehängt waren, wurde
Wasser in die Eimer geleitet. Das überlaufende Wasser floß auf den Boden, wo sich bereits ein breiter Wasserspiegel gebildet hatte. Der Raum wurde durch Spots beleuchtet, die auf den Boden gerichtet waren. Seitlich war der Titel der Installation zu lesen. Während er in Rotterdam seitenverkehrt projiziert war und erst in der Wasserspiegelung lesbar wurde, war er in Kiel lesbar projiziert. Wechselnde Diaprojektionen an der Rückwand zeigten Bilder von Menschenmassen und Gewalttaten neben Bildern aus der Werbung. Ein Dia, ein Hitlerjunge, war dauerhaft zu sehen. Dazu erklang rhythmische Instrumentalmusik, die Arno Steffen aus elektronisch verfremdeten Hymnen generiert hatte. Auch Radiowerbung wurde eingespielt.
Die Performance-Installation war erstmals 1984 bei dem einwöchigen internationalen Performance-Meeting in Rotterdam zu sehen, das Wink van Kempen organisiert hatte. Nach dem Festival Perfo 1, 1981, bei dem Performances erstmals in Rotterdam vorgestellt worden waren, folgten 1984 Perfo 2, 1985
Perfo 3 und 1986 Perfo 4. Neben den 44 Performance-Auftritten gab es auf der Perfo 2 auch Musikveranstaltungen. Zu den eingeladenen Künstlern gehörten Peter Gordon, Dennis Oppenheim, Orlan, Mrieken Verheyen, Guillaume Bijl, Michal Shabtay, Start Sherman, Laure Chenard, Silvia Ziranek, The Bow Gamelan Enselmble, Boris Gerrets, Komar und Melamid und Jürgen Klauke.
In Kiel führte Klauke die Performance im Rahmen der Performance-Veranstaltung mit Kölner Künstlern auf, die Ulrich Bischoff als Begleitprogramm für die Ausstellung KunstLandschaft organisiert hatte. 48 Kunstvereine hatten sich zu einem umfassenden Projekt zusammmengeschlossen, bei dem unter dem Titel KunstLandschaft Bundesrepublik eine Bestandsaufnahme junger Kunst in Deutschland vorgestellt wurde.(1) Unter den fünf Künstlern, die im Kieler Künstlerhaus Seefischmarkt arbeiteten – sie waren auf Vorschlag von Elisabeth Jappe eingeladen worden –, war »die Errichtung eines Bildes von Jürgen Klauke«, so Ulrich Bischoff, »die spektakulärste Form. [...] Ursprünglich war eine halbstündige Interaktion zwischen Jürgen Klauke und Arno Steffen unter einem Lichtkegel vorgesehen, eine Konfrontation aus Lust, Liebe und Langeweile, die aber aus technischen Gründen ausfallen mußte.«(2) Der Fußboden war undicht. Das Wasser lief durch die Betondecke. Mit dem entschwindenden Wasser entfiel auch die Aktion, bei der sich Klauke und Steffen mitten in das Wassers setzen und in den Wasserspiegel hineinstarren wollten. Doch auch ohne die Aktion behauptete sich die Installation als ein eindringliches Bild: »Dieses Bild als Installation zusammen mit Arnos Sound«, so resümierte Bischoff, »hat bei vielen Besuchern einen tiefen und nachhaltigen Eindruck hinterlassen.«(3)
In der Kieler Einladung war die Performance angekündigt als: Jede Gesellschaft hat die Kultur, die sie verdient Installation (Performance). (Erster Teil von vier geplanten Stücken zum Thema Kultur).
In Hamburg zeigte Klauke die Installation ebenfalls im Kontext der Ausstellung KunstLandschaft Bundesrepublik. In einem Gespräch während der Aufführung erklärte Klauke, daß ihn die Spannung, die zwischen dem meditativ-ästhetischen Raum, wie er vor allem durch das fließende Wasser und die Lichteffekte entstand, und jenen Elementen interessierte, die auf die Härte des Lebens verweisen. Eimer und Regenschirme sind Requisiten, die Klauke auch für Fotoarbeiten aus dem Umfeld der Serie Formalisierung der Langeweile verwendet hat. Die Regenschirme verweisen auf die anonyme Masse. Klauke versteht sie zudem als Metapher für die Redewendung »sich bedeckt halten«, etwa gegenüber den anderen Motiven der Installation; er sieht in ihnen den passiven Gegenpol zur Aktivität des unablässig laufenden Wassers.(4)

  1. Vgl. Heinz Thiel, Auf 48 Parketten. Tanzturnier statt Debütantenball. Eine Übersicht über die Kunstlandschaftsausstellungen
    zwischen Flensburg und Konstanz, in: Kunstforum International, Bd. 73/74, Juni/Aug. 1984, S. 208ff.
  2. Ulrich Bischoff, Performance-Veranstaltung mit Kölner Künstlern 15./16. Juni 1984, Faltblatt, Archiv der Kunsthalle zu Kiel
  3. Ulrich Bischoff, Brief an Jürgen Klauke, 21. Juni 1984, Archiv der Kunsthalle zu Kiel
  4. Aus der Aufzeichnung eines Gesprächs mit Jürgen Klauke, 17. Juni 1984, Kampnagel-Gelände, Hamburg, Archiv Uwe M. Schneede